Lisa Long

Als sich Lisa und Isabella das erste Mal im Sommer 2017 in Isabellas Studio in Düsseldorf trafen, kannten sie sich von gelegentlichem Small-Talk auf rheinländischen Kunstevents. Überraschend schnell verwandelte sich ihr anfänglich vorsichtiges Gespräch in einen Dialog, der beide überwältigt und erstaunt zurückließ. Am Ende blieb nur das schwarz verbrannte Toastbrot, das sich Isabella zu Beginn des Besuchs im Ofen zubereiten wollte. Nun haben sich beide im Oktober 2018 auf Einladung des Moff-Magazins im Netz zum Chatten verabredet, um über Isabellas Arbeiten und alles Mögliche zu sprechen.

LL: Hi Isabella

    

IF: Hi Lisa

LL: Wie geht es dir heute?

IF: Gut, und dir? 

LL: Gut, komme gerade mit Cosmo vom Hundetraining …

IF: Oh, das stelle ich mir schön vor. Wir hatten auch mal einen Hund, einen Beagle, aber das ist schon lange her ... 

LL: Geduld braucht man, und der Hund ist danach total erledigt. Eigentlich lernen die Hundebesitzer mehr über sich ... haha ... wo bist du jetzt?

IF: Verstehe. :) In meinem Studio in Düsseldorf, habe mir gerade den dritten Kaffee heute gemacht - oh no … - und du?

LL: In Issum, sitze am Schreibtisch mit Blick ins Grüne. Könnte auch noch einen Kaffee gebrauchen. :) Das letzte Mal, dass wir uns gesehen haben, waren wir in Berlin unterwegs, was machst du gerade?

IF: Ja stimmt, bei PS120, nicht? Ja, ich bin busy, bereite gerade einige Ausstellungen vor ... Ich bräuchte mal richtigen Urlaub …

LL: Genau, bei PS120. Oh schön, neue Ausstellungen, das freut mich zu hören. Zeigst du neue Arbeiten?

IF: Teilweise ja, teilweise greife ich auf ältere Arbeiten zurück. Für die Ausstellung in der Kunsthalle Wien im Oktober zeige ich eine Performance, die bereits im Juni im Kölnischen Kunstverein und im Vorjahr in der Pogobar der Kunstwerke Berlin gezeigt wurde. Hinzu kommt eine ganz neue installative und auch performative Arbeit, und  eine ältere Videoinstallation.

LL: Meinst du die? Da konnte ich leider nicht dabei sein.

 IF: Ja genau, das sind Pola Fendel und ich. Ganz in gold, haha. “The Boomerang Effect”, so heisst die Performance, ist eine textbasierte Arbeit, bei der sich die Performer durch das Publikum bewegen und es durch Berührung miteinbeziehen. Bei PS120 wurde sie von Nikolas Brummer und Jan Seevetal etwas anders umgesetzt - die beiden sehen sich ohne Zutun zum Verwechseln ähnlich und haben im Wechsel gegeneinander gekämpft. Zwei Doppelgänger-Alter Egos. Ich liebe die beiden.

LL: Davon habe ich auch Bilder gesehen. Bei Instagram.

IF: Die Performer sprechen den Text immer im Wechsel, wie ein Pingpong-Game, Schlagabtausch, sowas. Dadurch wird es schnell sehr intensiv und körperlich.

LL: Verstehe, eine Art “Call and Response”. Wie der Titel schon sagt “The Boomerang Effect.”

IF: Genau. Sie berühren sich gegenseitig und sprechen einen ineinandergreifenden Dialog, der fast auch ein Monolog, also ein Selbstgespräch sein könnte, was aber wie entzweit von zwei Parteien verkörpert wird - hin und her. Wie in einem Spiegel gefangen.

LL: Versuchen die Stimmen eher zusammenzukommen, oder ist ein Battle angesagt?

IF: Es ist beides, es geht bei mir immer um eine gewisse Form der Dualität, die auch in Kampf münden kann. Bei der Arbeit “Vice Versa”, die ich im Mai in Dakar auf der Dakar Biennale gezeigt hab’, geht es auch um eine visuelle Kommunikation  zweier “Flatscreens”, die sich über den Verlauf von 20 Minuten kryptisch unterhalten. Das Setting ist hierbei eine Matratze, auf der kauernd ein Performer liegt. Die Arbeit ist von 2015. Ähnlich war es auch im Osthaus Museum vor ein paar Monaten, wo ich eine Performance auf einem gekachelten Floß habe stattfinden lassen, “Metamorphoses of Control”, mit Videoprojektionen von oben auf die Performer. Sie haben ineinandergreifende Textpassagen gesprochen, circa drei Stunden lang. Es ging um Schmerz, Verschwinden und den Tod - schöne Themen ... ;) Alles in Anlehnung an “Das Floß der Medusa” von Géricault von 1818.

LL: Ein psychologisches Drama! Wenn ich mir eine Beobachtung erlauben darf: In deinen Arbeiten scheint es oft um den Versuch einer Kommunikation zwischen zwei oder mehreren Körpern zu gehen. Diese können menschlich sein, aber auch rein materiell oder symbolisch. In so einem Dialog ist so viel los - Momente der Sehnsucht, Zuneigung, Liebe, aber auch unterschiedliche Formen von Gewalt, Kontrolle, Manipulation. Wenn ich an deine Zeichnungen denke, sehe ich einen Versuch, manchmal verzweifelt, manchmal kämpferisch und oft mit viel Humor, etwas Inneres auszudrücken oder auszuhandeln, was nicht gesagt werden kann.

 IF: Ja, das stimmt, emotionale Zustandsbeschreibungen jenseits von Sprache und Systemanalyse bzw. -kritik und der Blick auf Gesellschaft bzw. zwischenmenschliche Themen beschäftigen mich. Translating life into poetry. Vielleicht kommt das, weil ich in Japan aufgewachsen bin, im sogenannten “Reich der Zeichen” nach Roland Barthes. Ich weiss es nicht genau …

LL: Ich kenne dieses Buch von Barthes nicht. Worum geht es ihm?

IF: Es ist ein schönes kleines Buch, in dem Barthes seine Erfahrungen in Japan detailliert niederschreibt. Es geht um Regeln, um erotischen Charme, der in den belanglosesten Gegenständen und Verhaltensweisen vorkommt, um Zwischenräume im Detail. Eigentlich geht es um grenzenlose Phantasie. Gerade lese ich “Differenz und Wiederholung” von Deleuze, es hat unglaublich viel mit meiner Arbeit zu tun (Spiegelung, Echo, Seelen, Ähnlichkeit, Äquivalenz) und ist wirklich aktuell.

LL: Du suchst also in der Wiederholung und den Zwischenräumen nach neuen Ausdrucksformen, die unsere Tradition des dualistischen Denkens hinterfragen, um dabei eventuell andere, nicht dualistisch geprägte Muster zu finden?

IF: Nein, ich möchte es nicht hinterfragen, sondern eher aufzeigen. Unsere Realität ist dualistisch geprägt, hat zwei Pole und verhält sich dialektisch. Das repetitive Moment interessiert mich hierbei vor allem. Auch die Auseinandersetzung mit dem immer Wiederkehrenden, vermeintlich Gleichen und die Differenz in der Wiederholung. Die Schwebe, der Fall, die Rotation, die Bewegung bzw. das sich in der Bewegung Befindende, das Prozessuale. Zu meinen Zeichnungen wurde öfters gesagt, sie hätten etwas Manisches.

LL: Wenn ich deine Zeichnungen sehe, denke ich oft an Arbeiten von Louise Bourgeoise; ich möchte dir nicht zu nahetreten, aber ich erkenne darin eine Verletzlichkeit und Intimität, die mit einer enormen Schlagkraft und emotionalen Wucht zusammentreffen. Sie haben eine Symbolhaftigkeit; Gesichter, Augen, Hände, Umrisse von Figuren, Öffnungen, verwobene Körper. Du hast unglaublich viele Zeichnungen - damit fängt auch jede performative oder installative Arbeit an -, dass du diese aber öffentlich zeigst, ist neu. Woran liegt das?

IF: Es liegt tatsächlich daran, dass sie sehr intim, direkt, fragil und persönlich sind. Sie machen mich verletzlich. Es ist ein schonungsloser Dialog mit mir und den anderen. Ich zeichne seit ich denken kann. Seit circa ein bis zwei Jahren zeige ich sie.

LL: Es ist also eine Reaktion auf alles, was um dich herum passiert?

IF: Nicht alles - es sind Gegebenheiten, die Spannungen auslösen, beziehungsweise Zweifel, Erschütterung, Ungerechtigkeit, Wut usw. Es ist ein Dialog ohne Fassade. Eine Art, die Realität, die oft verfälscht oder gespielt ist, zu verarbeiten. Das klingt vielleicht dramatisch, aber es macht das Leben möglich und auch nützlich. Ich nehme die Sachen auf und lasse sie so wieder los. Hierbei ist mir auch wichtig einen Mehrwert für die Gesellschaft zu schaffen.

 

LL: Unmittelbarkeit abseits von Social Media und die Konstruktion einer Identity …

IF: Ja genau. Fuck sm.

LL: Haha, we will be alright. Oder?

IF: Vor zehn Jahren machte das noch viel Spass, aber jetzt, in der Zeit des „Hype“ … Ich habe Facebook früher täglich benutzt, ungefiltert, wie ein digitales Tagebuch, auch schon sehr früh ICQ/MSN-Messenger und Myspace. In Tokyo hatten wir ja alle Handys mit elf, mit Emojis. ;) Bei Instagram, mit so vielen Augen, die zuschauen geht es letztlich um Werbung und Sales. Es wird irgendwie ein game und egal, infotainment, alle machen es. We’re chained to excitement, addicted to arousal, fucked by momentary pleasures - ich hab’ in meiner Jugend zu viel Marilyn Manson und Eminem gehört - nur schlimm ist es auch wieder nicht …

LL: Manson und Eminem, habe die auch gehört. Mit zwölf (noch ohne Social Media) war es natürlich ein Skandal, dass Manson sich eine Rippe entfernt hat, um sich einen selber blasen zu können. Das habe ich schon wieder verdrängt. Stimmt das überhaupt? Sorry, das ist ein völlig anderes Thema.

IF: Hahaha, das wusste ich gar nicht mehr, wer weiss, vielleicht war das auch bloß eine media-story, fake-news before fake-news …

LL: Heute habe ich den Satz gelesen, der dazu ganz gut passt: “The fake is not the perversion of the fact, or the exception of the vain and frivolous from the rule of the serious and referential - no, the fake is inside the fact.” Das hat Bernhard Siegert 2015 geschrieben, kurz bevor es so richtig losging mit Trumps Fake News Front. Ich wusste nicht, ob ich laut lachen oder weinen sollte.

IF: Es besteht ja immer eine Wechselbeziehung zwischen dem, was öffentlich gilt, und dem Privaten, und wenn Grenzen verwischen: you become the media and the media becomes you?

LL: Es gibt durchaus Momente in dieser Wechselbeziehung von Gesehen-werden-Wollen, von “performen” und konstruierten Fassaden und dem Privaten und Verborgenen, die ich in deinen Arbeiten wiederfinde … gesellschaftliche Themen, die verkleidet warden ...

IF: Ja, ich liebe auch zum Beispiel Isa Genzkens eklektischen Umgang mit diesen society-Themen, ihre Türme, die sie nach Freunden benennt und dem (vielleicht alkoholisierten) Witz, der dahinter herausspringt.

LL: Frau Genzken ... mit ihrer Welt voller trash und Fassade, gefallenen Frauen und verlorenen Männern ... das habe ich mal irgendwo so gelesen.

IF: Sehr einschlägig. Die Arbeit “Unpredictable Liars” haben einige inhaltlich mit Genzkens Figuren verglichen, obwohl ich das formal nicht unterschreiben würde. Es ist eine Serie menschengroßer Figuren, drapiert mit Stoffen und räumlichen Zeichnungen. Sie waren bei Clages, der Meetfactory und beim MAP-Projekt im Nikko dieses Jahr zu sehen. Bei der Eröffnung haben wir uns doch auch gesehen, nicht? :)

LL: Ich war erst nach der Eröffnung da. “Unpredictable Liars” hat mich stark beeindruckt. In der Konstellation bei Clages, in der sich die vier Figuren gegenüberstanden, spürte ich regelrecht, wie diese Wesen - für mich waren es Hexen - etwas Geheimes planen oder heraufbeschwören. Dabei waren sie auch lustig, sogar komisch. Zum Teil musste ich an das Bild einer älteren Dame denken, die in ihrer feinsten, aber “alten” Robe mit Perlenkette und Fellkragen an der Bar sitzt und vergeblich auf ihren Lover wartet.

IF: Ohh ... hahaha …

LL: Die dreidimensionale Zeichenhaftigkeit hat dieses Moment verstärkt. Bei MAP-Projekte war es noch mal anders, weil diese Figuren im Hotel Nikko gezeigt wurden. Dabei haben die Figuren die Nischen und Balken des Hotels belagert, sodass die Besucher überrascht, beziehungsweise  plötzlich konfrontiert wurden. Ich habe mich gefragt, welche Geschichte diese Figuren zu erzählen haben.

IF: Ja, viele. Bei Clages gab es auch ein soundscape zur Installation im Raum, das war auch wichtig. Die Figuren haben vielen nicht gefallen und viele fanden es sehr gut - total edgy. Ich musste das machen, brauchte einen Bruch. In der Arbeit geht es um Schein, Inszenierung, Überfluss, Behauptung, Protzigkeit, Schauspiel - alles was ich nicht will. Die Figuren werden noch mal anders im November und im Dezember gezeigt.

LL: Wenn wir schon von Genzken sprechen, spielen weitere Künstler*innen für dich eine Rolle?

IF: Ich liebe ja Roni Horn, ihre Zeichnungen, ihr skulpturales Werk, die Fotografien. Es ist unglaublich präzise und “mineralisierend”. Tracey Emin, Fischli und Weiss, Philip Guston und Lee Lozano schätze ich auch sehr. Und Ed Atkins Stimme und Mark Leckey’s Kühlschrank.;)

LL: Gibt es noch andere?

IF: An jüngeren Künstlern mag ich Jana Euler und Jesse Darling gerade gern. Mit meinem Ex-Freund Philipp habe ich mal einen Entwurf für ein Buch gemacht, “studylist bzw. all the artists we love”, es ist leider nicht fertig geworden. ;)

LL: Die Arbeiten von Jesse Darling finde ich ebenfalls sehr spannend, auch wenn ich gerade mehr mit zeitbasierter Kunst zu tun habe. Darlings Werke haben eine unterschwellige Komik, dabei verhandeln sie ziemlich ernste Themen. Man schmunzelt, aber gleichzeitig tut es weh.

IF: Mhm, ich weiss, was du meinst.

LL: Was mir auf Anhieb auffällt, ist, dass viele der Künstler*innen, die du nennst, einen sehr spielerischen Umgang mit Material und Medien haben. Du sprichst ja auch von “play space”. Was bedeutet Spiel oder Spielen für dich?

IF: Spielen ist für mich essentiell, das ist wie ein Freiheitsraum, Dinge anders oder losgelöst zu betrachten. Eine Arbeit, oder auch ein Atelier, ist auch wie ein Spielplatz, und man spielt nach Regeln. Und man macht viele Fehler. Es gibt da einen roten Faden, man muss ihn irgendwie festhalten und darauf balancieren. Ich werde nie aufhören können zu spielen ...

LL: Und Humor?

IF: Ja … also ... zusammen lachen ist eine der besten Sachen im Leben.

LL: Das sehe ich auch so. Wie geht es nun weiter? Hast du schon Pläne für das kommende Jahr?

IF: Ja, zu viele … einige Reisen, - man soll ja nicht über die Zukunft sprechen.

LL: Stimmt, dann lassen wir das auch! Ich freue mich aber schon ...

IF: Same :) bis bald, liebe Lisa!

LL: Bis bald, Bella!

Lisa Long for MOFF Magazin #17