Mascha Jacobs

Achtung, Klettverschlüsse im Medusenhaar

Aber ich versuche, Dir mit meinem ganzen Körper zu schreiben, Dir einen Pfeil zu senden, der sich tief in den zarten neuralgischen Punkt des Wortes bohrt.
– Clarice Lispector, Agua Viva

Auch wenn die einzelnen Teile des tableau vivant, das Isabella Fürnkäs in „Metamorphoses of Control“ zeigt, stilisiert und auf den ersten Blick entleert zu sein scheinen, sie die großen Gesten des monumentalen Kunstwerks „Das Floß der Medusa“ von Théodore Géricault, auf das sich die Arbeit bezieht, getilgt hat, sind die neuen Bezüge, die ihre installative Inszenierung antickt, nicht weniger ausgreifend und komplex. Das Visuelle wird in dieser abstrakten Reinszenierung entrümpelt, aktualisiert und bis auf die Knochen ausgezogen. Die Referenzialität wandert in die Sprache, die auch nicht anders kann, als immer wieder neue Bilder zu produzieren. Das Bühnenbild ist sehr reduziert, die Natur künstlich. Das Floß, ein weiß gekacheltes Podest, wirkt ortlos; wie aus dem Kontext gerissen. Die Wellen sind nur noch Projektionen, die das superweiße Bühnenbild mit irisierenden Effekten ein bisschen Richtung Perlmuttweiß treiben. Der Sand wirkt dagegen dreckig, als müsste er ‚das Natürliche‘ spielen. Ein Zaubersand, der wie von Zauberhand in seiner Form bleibt. Ein Stellvertreter für das, was Donna Haraway „artefaktische Natur“ nennt und der darauf hinweist, dass Natur und Kultur nicht so gegensätzlich sind, wie es scheint. Und von weither erklingt eine geisterhafte Musik, sie verwandelt künstliche Wellen in Geigenstriche und Motorengeräusche. Keine schäumenden Wellenkronen, nie wieder untergehende Sonnen, hier folgt alles einer Ästhetik der slicken Sickness.

Die Körper der Performer sind ebenfalls Oberflächen. Ihre Gesichter ausdruckslos, selbst wenn sie die Masken nicht vor ihre Visagen halten. Ein choreografiertes Gewusel von Körpern, die sich ignorieren, selbst wenn sie sich berühren. Die Szenerie wirkt aseptisch, die Bewegungen trotz ihrer Agilität seltsam müde. No Thrills. Statt verzweifelt in die Luft gereckte Fäuste wie bei Géricault halten die androgynen Performer Smartphones in ihren Händen. Sie sprechen prononciert und künstlich, als hätte man ihnen das Wort in den Mund und das Messer in die Hand gedrückt:

Death
was on SALE today We bought
the whole store ONLINE

Auch über Fälle von Kannibalismus wurde berichtet. Damals, als die Medusa im Auftrag des französischen Königs vor der senegalesischen Küste strandete und über hundert Menschen auf einem Floß alleingelassen um ihr Überleben kämpften. Hier wurde der Kampf aufgegeben, #iss’ mich, #trink’ mich, #try meOctopussy.

I loved
How you ate
My hair
Will you remember? The crunch? The taste of mineral?

Die Stimmen und Worte – seine – ihre – im Wechselgesang – verursachen Bilder, die die alten Referenzen noch als Erinnerungsspuren wie auf diesem ollen Wunderblock durchscheinen lassen. Sie flirren durch den Raum – treffen sich ab und an, überlagern sich zart und teilen sich auf. Als wären sie Mal ein Chor gewesen, der jetzt keine Lust mehr auf Zwei-Drei-Vier-Doo- fe-ein-Gedanke hat. Manchmal klingen die Wörter wie Hilferufe, obwohl sie so stoisch und monoton gesagt werden.

Ich erkenne eine Songzeile von Depeche Mode, einen Splitter von Clarice Lispector, überlege noch, ob das ein Zitat von Hélene Cixous oder Marilyn Manson ist – plötzlich kommt mir alles sehr fremd und sehr bekannt vor – und merke, wie ich hinabgezogen werde, ertrinke und mich verwandle. Ich werde eine Qualle, ein Nesseltier im Lebensstadium einer Medusa, das weiß ich sofort. Allerdings nur halb, also sofort kannibalisiert. Als hätte mich ein siebenarmiger Oktopus aufgefressen und dann in die Arme geschlossen, um mich, die lichtdurchlässigste Medusa unter den Medusen, tief unten, dort, wo meine Leuchteffekte nutzlos sind, in eine Waffe zu verwandeln. Meine Tentakel sind intakt und tödlich. Er flüstert mir ins Ohr und trägt mich kopfüber immer tiefer hinab. Und während ich noch zu verstehen versuche, was er damit meint, „dass ich nicht aus der Mode geraten kann“, feuert er meine Waffe ab.

Der Kuss der Medusa ist sofort tödlich. Mit 200 Atmosphären trifft mein Giftpfeil den Riesenkalmar. „Was Schnelleres als den Kuss der Medusa gibt es kaum“, kommentiert ein Meeresbiologe etwas zu kreischig aus dem Off. Der Getroffene, von einer Kamera verfolgt, taumelt noch tiefer hinab. Elegant wie immer, 3000 User sind live dabei. Die Nautilus-Crew ist seit Neuestem 24 Stunden LIVE und ONLINE. Die Wissenschaftler kommentieren durchgängig die Aufnahmen der schwimmenden Bildermaschine. Am Bildrand, in 50 Meter Tiefe, verwandele ich mich zurück. An der Oberfläche angekommen, lache ich laut und gurgelnd, weil ich merke, dass ich mir an meine Saugnäpfe am Kopf Tentakeln kletten kann. Von nun an gebe ich die klassische, mythische Medusa.

Hélène Cixous plädiert in „Das Lachen der Medusa“ für eine queere „anhaltende Beweglichkeit, ein Weitergetragenwerden, (...), eine Art Spiel: Es spielt und es wird gespielt. Es wird gespielt wie im Theater.“ Die Bildergewalt des Dramas auf hoher See, das Théodore Géricault interessierte, wird von Isabella Fürnkäs abgezogen, ganz anders inszeniert. Indem alles Überflüssige getilgt, Kontexte und Referenzen entleert werden, wird in dieser Arbeit der Sprache eine Bühne bereitet. Auf dieser wird ein neues Schreiben, eine neue Literatur erprobt, nenn’ sie weiblich oder klein, nach der schon Kafka, Deleuze und Cixous suchten. Eine Schreibweise, die von Metaphern nichts wissen will und auf die Verwandlung, die Metamorphose als ihr Gegenteil setzt.

Medusa ist in Übersetzung begriffen, [...] weil sie auf Reisen ist. Sie wird ständig losgeschickt. Sie reist nicht nur von einer Epoche zur anderen, sondern natürlich auch von einem Land, einer Kultur, einer Sprache zur anderen. Daraus ergeben sich ständig Zeit- und Kulturverschiebungen. Und dabei wandelt sich ihr Aussehen. Es kann passieren, daß man sie nicht gleich wiedererkennt, aber lange hält das nie an. [...] „Was sich auch ändert, ist das Bühnenbild“, hat Hélène Cixous in einem Interview zu ihrem sehr kryptischen Text gesagt: „Die Fragen bleiben die gleichen. Leidenschaften und Konflikte wiederholen sich. Sie tragen lediglich andere Masken.

– Hélène Cixous, Das Lachen der Medusa, S. 183

Und

ALLE (INKLUSIVE OKTOPUSSYS UND MEDUSEN):

Pshhhh Pshhhh Pshhhhh Pshhhh
Pshhhh Pshhhh Pshhhhh Pshhhh
Pshhhh Pshhhh Pshhhhh Pshhhh
Pshhhh Pshhhh Pshhhhh Pshhhh

ALLE

And the waves
And the waves
And the waves
And the waves
And the waves...

Mascha Jacobs for Metamorphoses of Control, Osthaus Museum, Hagen